Tag 117 – Überraschung
28. Oktober – 125 km von Saint Lary Soulan nach Arglès-Gazost
Wieder einer dieser Tage an denen ich froh bin, dass ich nicht die ganze Reise bis ins kleinste Detail geplant habe. Weil erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt.
Die heutige Tour sollte über den Col du Tourmalet zum Col Du Pourtalet führen. Auf dem Weg dahin komme ich auf dem Col D’Aspin vorbei. Oben angekommen das Warnschild Freilaufende Kühe. Und als hättens sie’s gelesen: Hinter der nächsten Kurve steht die Kuhherde. Da bin ich auch schon fast oben und scheinbar haben die Kühe den Pass als Ihr Revier auserkoren. Kuh-Flut quasi.
Was ich besonders putzig finde, und das bilde ich mir bestimmt nur ein: Bevor sie die Strasse überqueren, bleiben sie kurz stehen und schauen, ob was kommt. Letztlich ist das aber scheinbar egal, denn getreu dem Motto: Wenn es mich nicht überfährt, ist frei, trotten Sie dann in aller Seelenruhe über die Strasse.
Aber wenigstens sind es hier oben fast 20°C während es unten noch schattige 5°C waren. Verkehrte Welt heute. Das hätte mir schon eine Warnung sein sollen 😉
Oben auf dem Tourmalet angekommen, eine phantastische Aussicht. Und wie ich später erfahre, habe ich eine noch ebenso phantastische Schotterstrecke mit noch besserer Aussicht da oben verpasst.
Auf dem Weg runter komme ich an mehreren Schildern mit „D911 gesperrt bis 28. Oktober“ vorbei. Die ignoriere ich aber geflissentlich weil a) hab ich eine Enduro und b) ignorieren hilft in solchen Fällen oft. Ich umfahre einen nach gesperrt aussehenden Teil der D921 und bin froh, dass ich drumrum bin. Scheinbar. Und plötzlich das:
Recherche im Internet bring es an den Tag. Da ging wohl, bedingt durch starken Regen, vor dem 25.10. ein Steinschlag runter und da muss der Hang gesichert werden. Bis heute, 17:00 Uhr.
Das Dumme: Drumrum fahren wäre mal wieder eine grossräumige Umfahrung und die dauert 3 Stunden. In etwa so viel wie die Wartezeit wäre.
Ich prüfe, wie schwer die Sperren sind und stelle fest: Plastik, ohne was drin. Nur Attrappe. Also doch die Enduro-Karte ziehen? Genau jetzt kommt mir ein Baustellenfahrzeug entgegen und ich frage, ob ich da mit dem Mopped durchkomme. Er macht mir unmissverständlich klar: Nein. Die können keinen durchlassen. Viel zu gefährlich.
Ok. Also Planänderung und ein Hotel in heute noch fahrbahrer Entfernung suchen, gerechnet vom Zeitpunkt der Öffnung um 17:00 Uhr.
In dem Moment kommen von hinten zwei Moppeds: Die Bündner. So eine Überraschung und Freude, die beiden wieder zu sehen. Nach einigem Hin- und Her entscheiden wir um die Barriere drumrum zu fahren und mal zu gucken. 300m weiter meinen die Franzosen es aber dann wohl wirklich ernst. Rien ne va plus.
Also quatschen wir ein wenig und essen was. Dabei erfahre ich auch von der verpassten Schotter-Chance. Da nichts weiter zu tun war, legen wir uns eben auf die Strasse und sonnen ein wenig. Mit den Sperren vor- und hinter uns kann da ja keiner kommen. Immerhin bekomme ich so meine Dicke mal von unten zu sehen
So eine Wartezeit kann sich ganz schön ziehen. Die Minuten tröpfeln nur so dahin.
Ab halb fünf wird die Autoschlange vor der vordersten Absperrung immer länger und wir können bald das Ende nicht mehr sehen.
Kurz vor fünf kommt dann ein Polizeiauto vorbei und mein schlechtes Gewissen regt sich sofort. Der Beifahrer macht uns so komische Handbewegung in Richtung Autoschlange. Wir entscheiden uns dafür, dass wir französische Gesten nicht verstehen.
Es wird 17:00 Uhr, 17:30, 18:00 Uhr.
Ich überlege schon ernsthaft ob ich nicht mein Zelt aufschlagen soll falls die gar nicht mehr aufmachen. Nofallrationen hätte ich ja dabei. Allerdings hatte ich mich auf einen Notfall in der einsamen Wildnis Norwegens, Finnlands oder Rumäniens gefasst gemacht. Und nicht auf einen zwischen zwei Baustellenabsperrungen mitten im recht dicht besiedelten Süd-Zentraleuropa. Um 18:07 scheinen die Polizisten endlich mit den Bauarbeiten zufrieden zu sein und öffnen die Absperrungen. Und wir sind die ersten. Puh.
Jetzt ist der komplette Zeitplan über die Wupper und ich bin froh, dass ich auch kein Ersatz-Hotel gebucht habe. Das würde ich wahrscheinlich auch nicht mehr im Hellen erreichen.
Also suchen wir uns eine kleine Pension in der Nähe und den Rest sehen wir halt morgen.